Ein Ausflug ins Politische
Am 05. Oktober waren Kommunalwahlen. Kein grosses Ereignis, der allgemeinen Meinung nach, voellig egal, ob man hingeht oder nicht, gleichgueltig, was rauskommt. Ein hinsichtlich der Statistiken interessanter Artikel besagte, 70% der Bosnier seien an den Wahlen uninteressiert und nur 2% der Wahlversprechen bezoege sich nicht auf leere Phrasen und nationalistische Propaganda (“Wahrung nationaler Interessen”), sondern auf konkrete Massnahmen zu tatsaechlichen Problemen der Menschen hier. Der Zusammenhang zwischen beiden Zahlen scheint logisch. (nachzulesen unter http://www.volksstimme.de/vsm/nachrichten/meinung_und_debatte/meinung_und_debatte/?sid=dqc6uaolav6ab4cg0bpqm9jj95&em_cnt=1184910)
Fuer mich bedeuteten die Wahlen vor allem Ende der nervigen Dauermusikbeschallung von allen Seiten sowie der Moechtegern-Grossveranstaltungen im Stadtzentrum. Da standen des oefteren 20 Leute, die gern wie 200 ausgesehen haetten, mit 10 ueberlebensgrossen (serbischen) Fahnen ausgestattet, die sie eifrig schwenkten, plakativ siegesgewisser Musik und Zettelverteilern auf beiden Strassenseiten, so dass ein Entkommen nicht moeglich war. Am Abend der Wahlen quoll das Parteibuero der SNSD - der in Zvornik vor, und wie sich herausstellte, auch nach den Wahlen regierenden Partei, ausserdem Partei des Ministerpraesidenten der Republika Srpska Milorad Dodik - foermlich ueber, und der Wahlsieg wurde mit gluecklicherweise nur kurz andauernden Hupkonzerten gefeiert. Vorbei das Schmierentheater, wie gut.
Im Alltag kann ich gegenueber den letzten Monaten keine Veraenderung der Stimmung ausmachen, als beunruhigend jedoch empfand ich die Aussage des Hohen Repraesentanten der EU in Bosnien, Miroslav Lajcak, vor einigen Tagen, ein Auseinanderbrechen Bosniens sei derzeit wahrscheinlicher als je zuvor. Aus dem Mund jedes anderen Politikers vor Ort haette man die Aussage als uebliche Wichtigtuerei behandeln koennen (was tut man nichts alles fuer eine Schlagzeile, denn mit richtiger Politik, mit Inhalten punktet hier keiner), bei Lajcak handelt es sich aber um den Chefdiplomaten der EU. Einer, von dem man generell eher vorsichtige Aussagen erwartet.
Was waere, wenn? Richtig an mich heranlassen moechte ich den Gedanken nicht. Ich haenge an diesem komplizierten, vielleicht unmoeglichen und noch immer so vielfaeltigen Bosnien. Ich moechte glauben koennen, dass das Zusammenleben hier ohne eine erneute Aufsplittung (in Teile von Teilen) eines Tages moeglich sein wird, und gut moeglich. Viel ernster jedoch: es ist nicht auszudenken, was eine Spaltung an erneuten (gewalttaetigen?) Unruhen mit sich braechte, was das fuer die Bevoelkerungsteile der jeweils anderen ethnischen Gruppe mit sich braechte, die derzeit in ihrem Landesteil die Minderheit darstellen (die Muslime in der Serbischen Republik und die Serben in der Foederation, die Kroaten, die angeblich sowieso ueberwiegend das Land verlassen wollen, mal aussen vorgelassen…). Erneute Fluechtlingsstroeme aus Leuten, die sich nur zu gut erinnern, was Vertreibung heisst. Und dann? Ein Anschluss der Serbischen Republik an Serbien waere unumgaenglich, das Interesse und der Druck durch Serbien zu stark. Und Bosnien ein muslimischer Staat mit stetig schwindender kroatischer Minderheit.
In diese Gedanken hinein spielt ein Gespraech vom heutigen Tag mit Tanja. Sie ist 21, Journalistikstudentin im letzten Jahr, schon in die USA und nach Norwegen gereist, spricht hervorragend Englisch, lernt Arabisch, Spanisch und von mir demnaechst vielleicht Deutsch und will ihr Land, wie so viele, fuer ein Aufbaustudium verlassen (und nicht unbedingt wiederkommen). Gespraeche mit ihr unterscheiden sich eigentlich nicht sehr von denen, die ich mit deutschen Freundinnen haette, sie ist offen in ihrem Denken, herzlich und unkompliziert in ihrer Art. Ich nutze ihren Computer, seit meiner (bzw. das Ladegeraet) den Geist aufgegeben hat und ich merke, wie sehr ich in der Provinz lebe, denn den Ersatz zu bekommen, ist keine kleine Huerde. Aus der Arbeitsbeziehung ist innerhalb von Tagen eine Freundschaft geworden, die ich aufgrund ihrer Unkompliziertheit und Naehe sehr schaetze.
Bei einem Tee in einer Lernpause kamen wir auf die Geschichte und politische Situation des Landes zu sprechen, ganz ungezwungen und entspannt, was bei diesem Thema alles andere als normal und deshalb umso schaetzenswerter ist. Und da sagte sie mir (auch sie!), sie glaube nicht, dass in Bosnien jemals Normalitaet einkehren werde, dass Versoehnung moeglich sei. In 10-15 Jahren waere wieder Krieg. Warum, sagte ich, es gibt doch dich und Leute wie dich, warum bist du so pessimistisch? Sie sagte, ich sei romantisch. Und es gaebe zwar Leute, die daechten wie ich, aber die meisten saehen die Situation ‘realistisch;. Die Menschen koennten nicht zueinander finden. Waere ich Muslimin oder Serbin, koennte ich die Spannungen spueren, die eben doch bestehen.
Sie selbst ist halb Serbin, halb Kroatin und hatte schonmal einen muslimischen Freund. Von dessen Mutter wurde sie als ‘Schwein’ beschimpft, und sie war sich sicher, haette die Verbindung gehalten, haette das fuer sie als auch fuer ihn die Verstossung durch die eigene Familie bedeutet. Aber nicht nur die aelteren Generationen seien das Problem, sondern die Weitergabe ihres Hasses an die Juengeren.
Und ich bin mal wieder traurig. Dass gerade die Menschen, die diesen Hass nicht empfinden, sich ihm gegenueber machtlos sehen.
Fuer mich bedeuteten die Wahlen vor allem Ende der nervigen Dauermusikbeschallung von allen Seiten sowie der Moechtegern-Grossveranstaltungen im Stadtzentrum. Da standen des oefteren 20 Leute, die gern wie 200 ausgesehen haetten, mit 10 ueberlebensgrossen (serbischen) Fahnen ausgestattet, die sie eifrig schwenkten, plakativ siegesgewisser Musik und Zettelverteilern auf beiden Strassenseiten, so dass ein Entkommen nicht moeglich war. Am Abend der Wahlen quoll das Parteibuero der SNSD - der in Zvornik vor, und wie sich herausstellte, auch nach den Wahlen regierenden Partei, ausserdem Partei des Ministerpraesidenten der Republika Srpska Milorad Dodik - foermlich ueber, und der Wahlsieg wurde mit gluecklicherweise nur kurz andauernden Hupkonzerten gefeiert. Vorbei das Schmierentheater, wie gut.
Im Alltag kann ich gegenueber den letzten Monaten keine Veraenderung der Stimmung ausmachen, als beunruhigend jedoch empfand ich die Aussage des Hohen Repraesentanten der EU in Bosnien, Miroslav Lajcak, vor einigen Tagen, ein Auseinanderbrechen Bosniens sei derzeit wahrscheinlicher als je zuvor. Aus dem Mund jedes anderen Politikers vor Ort haette man die Aussage als uebliche Wichtigtuerei behandeln koennen (was tut man nichts alles fuer eine Schlagzeile, denn mit richtiger Politik, mit Inhalten punktet hier keiner), bei Lajcak handelt es sich aber um den Chefdiplomaten der EU. Einer, von dem man generell eher vorsichtige Aussagen erwartet.
Was waere, wenn? Richtig an mich heranlassen moechte ich den Gedanken nicht. Ich haenge an diesem komplizierten, vielleicht unmoeglichen und noch immer so vielfaeltigen Bosnien. Ich moechte glauben koennen, dass das Zusammenleben hier ohne eine erneute Aufsplittung (in Teile von Teilen) eines Tages moeglich sein wird, und gut moeglich. Viel ernster jedoch: es ist nicht auszudenken, was eine Spaltung an erneuten (gewalttaetigen?) Unruhen mit sich braechte, was das fuer die Bevoelkerungsteile der jeweils anderen ethnischen Gruppe mit sich braechte, die derzeit in ihrem Landesteil die Minderheit darstellen (die Muslime in der Serbischen Republik und die Serben in der Foederation, die Kroaten, die angeblich sowieso ueberwiegend das Land verlassen wollen, mal aussen vorgelassen…). Erneute Fluechtlingsstroeme aus Leuten, die sich nur zu gut erinnern, was Vertreibung heisst. Und dann? Ein Anschluss der Serbischen Republik an Serbien waere unumgaenglich, das Interesse und der Druck durch Serbien zu stark. Und Bosnien ein muslimischer Staat mit stetig schwindender kroatischer Minderheit.
In diese Gedanken hinein spielt ein Gespraech vom heutigen Tag mit Tanja. Sie ist 21, Journalistikstudentin im letzten Jahr, schon in die USA und nach Norwegen gereist, spricht hervorragend Englisch, lernt Arabisch, Spanisch und von mir demnaechst vielleicht Deutsch und will ihr Land, wie so viele, fuer ein Aufbaustudium verlassen (und nicht unbedingt wiederkommen). Gespraeche mit ihr unterscheiden sich eigentlich nicht sehr von denen, die ich mit deutschen Freundinnen haette, sie ist offen in ihrem Denken, herzlich und unkompliziert in ihrer Art. Ich nutze ihren Computer, seit meiner (bzw. das Ladegeraet) den Geist aufgegeben hat und ich merke, wie sehr ich in der Provinz lebe, denn den Ersatz zu bekommen, ist keine kleine Huerde. Aus der Arbeitsbeziehung ist innerhalb von Tagen eine Freundschaft geworden, die ich aufgrund ihrer Unkompliziertheit und Naehe sehr schaetze.
Bei einem Tee in einer Lernpause kamen wir auf die Geschichte und politische Situation des Landes zu sprechen, ganz ungezwungen und entspannt, was bei diesem Thema alles andere als normal und deshalb umso schaetzenswerter ist. Und da sagte sie mir (auch sie!), sie glaube nicht, dass in Bosnien jemals Normalitaet einkehren werde, dass Versoehnung moeglich sei. In 10-15 Jahren waere wieder Krieg. Warum, sagte ich, es gibt doch dich und Leute wie dich, warum bist du so pessimistisch? Sie sagte, ich sei romantisch. Und es gaebe zwar Leute, die daechten wie ich, aber die meisten saehen die Situation ‘realistisch;. Die Menschen koennten nicht zueinander finden. Waere ich Muslimin oder Serbin, koennte ich die Spannungen spueren, die eben doch bestehen.
Sie selbst ist halb Serbin, halb Kroatin und hatte schonmal einen muslimischen Freund. Von dessen Mutter wurde sie als ‘Schwein’ beschimpft, und sie war sich sicher, haette die Verbindung gehalten, haette das fuer sie als auch fuer ihn die Verstossung durch die eigene Familie bedeutet. Aber nicht nur die aelteren Generationen seien das Problem, sondern die Weitergabe ihres Hasses an die Juengeren.
Und ich bin mal wieder traurig. Dass gerade die Menschen, die diesen Hass nicht empfinden, sich ihm gegenueber machtlos sehen.
Aufgablerin - 8. Okt, 13:21